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Die fünfmillionste gestresste Mutter, die selbst an ihrem Stress schuld ist, weil sie ja schließlich Kinder wollte, lamentiert über Doppelbelastung durch Home Office und Homeschooling

Zum Thema Belastung der Eltern durch Homeschooling wurde im Grunde schon alles gesagt. Blogs, Zeitungen, Kommentarspalten sind voll. Das Thema wurde bereits von allen Seiten beleuchtet. Aber noch nicht von mir. Also hier der fünfmillionste Blogbeitrag einer überforderten Mutter.

Ich halte mich selbst für einen ziemlich gut organisierten Menschen. Mein Zuhause bildet das nicht immer ab, aber weil ich so gut darin bin, alles im Kopf zu behalten, überblicke ich das häusliche Chaos eigentlich ziemlich gut und verbringe selten mehr als 2 Stunden pro Woche mit der Suche nach wichtigen Dokumenten oder verlorenen Brillen und Zahnspangen. Ich habe einen Teilzeit Job für 6 Stunden am Tag und regele nach Feierabend die medizinischen, musikalischen und sportlichen Termine von zwei Kindern sowie die Elternvertreter-Themen, die so anfallen. Ich bezahle unsere Rechnungen pünktlich, mache die jährliche Steuer-Erklärung immer schon nach der ersten Mahnung, schreibe nach den Elternabenden Protokoll, alle Familienmitglieder haben immer saubere Unterhosen und Socken (nicht im Schrank, aber im Wäschekorb vor dem Schrank), haben immer Duschgel und Zahnpasta zur Verfügung und finden immer etwas Essbares im Kühlschrank. Ich lüfte zweimal täglich die Wohnung durch weit geöffnete ungeputzte Fenster und achte darauf, dass die vereinbarte Medienzeit der Kinder zumindest unter der Woche nicht überschritten wird. Das ist nicht immer leicht, aber machbar, wenn man bei Dingen wie persönlicher Freizeit, Sport oder dem Nährstoffgehalt des Abendessens Abstriche macht.

Aber jetzt kommt ein komplett neues Thema on top: Homeschooling. (Was ich grundsätzlich befürworte. Team zero Covid. Bitte Schulen nicht vorzeitig öffnen!! Man darf nämlich für geschlossene Schulen sein und trotzdem das Konzept des Distanzunterrichts kritisieren.) Also. Homeschooling. Ich bin jetzt auch dafür verantwortlich, dass ein Dritt- und ein Sechstklässler selbständig die ihnen zugewiesenen Aufgaben erledigen und muss die dafür notwendigen Materialien (A2-Pappen, Gitarrensaiten, Musterbeutelklammern und Phönixfedern) heranschaffen. Ich muss den Drucker immer betriebsbereit halten, damit der Ältere sich die PDFs aus dem iServ Aufgabenmodul selbst ausdrucken kann bzw. muss ihm das Ausdrucken abnehmen, wenn der Drucker mal wieder herumzickt. Wöchentlich Tintenpatronen wechseln, Ausrichtungsseiten drucken und scannen, Papierstau beseitigen, Ihr kennt das. Ich muss die Webcam an meinem Laptop irgendwie betriebsbereit kriegen, wenn morgens um 8 Video-Unterricht stattfindet, und das Kind dafür wecken und zum Duschen antreiben, als wäre ein normaler Schultag, obwohl es abends schlafen geht, als seien Ferien. Und ich muss das andere Kind davon abhalten, in diese Konferenzen reinzuplatzen und dort Quatsch zu machen. Bei den „allein“ zu bearbeitenden Arbeitsblättern und Buchseiten muss ich häufig helfen, geeignete Quellen für die Antworten im Internet zu finden und immer die Abgabetermine im Hinterkopf behalten, weil die Kinder ihre Prioritäten minimal anders setzen als von den Lehrkräften gewünscht. Und ich muss dafür sorgen, dass sie erst die Aufgabenstellung lesen, dann ein bisschen nachdenken und dann vor dem Losschreiben noch Datum und Aufgabe oben aufs Blatt schreiben. Und nach dem Einscannen sinnvolle Dateinamen vergeben. Klar sollten sie das allein können, aber Konzentration funktioniert bei überdurchschnittlich kreativen Kindern generell nicht so gut und zu Hause schon dreimal nicht. Das alles regele ich natürlich, während ich im neu errichteten Home Office (Home Office ist neudeutsch für „irgendwo in der Wohnung umfunktionierte Rumpelecke mit Monitor, Tastatur und unergonomischem Stuhl“) meinem eigenen Job nachgehe, der sich auch nicht von selbst erledigt. Was gut so ist, denn wenn er das täte, wäre ich ihn ja längst los. Die Homeschooling-bedingten Pausen kann ich zwar dank verständnisvoller Geschäftsleitung entspannt hinten dran hängen, aber das geht dann wieder von meiner Zeit für die Zubereitung und Einnahme des Mittagessens ab. Aber das schmeckt eh nicht, wenn man direkt danach zum nächsten Arzttermin muss, um sich mit dem Arzt darüber zu streiten, warum man während des Lockdowns das Kind nicht einfach vormittags bringen kann. Der Kieferorthopäde war sehr überrascht, als ich ihm beichtete, dass ich nicht in Vollzeit Kindertaxi fahre, sondern das Spritgeld noch anderweitig verdienen muss.  Zu lange darf man diese Diskussion aber nicht ausdehnen, wenn anschließend noch eine Schulelternratssitzung im iServ Videochat stattfindet. Und die hat heute für mich den Vogel abgeschossen. Wie gut, dass ich es nicht geschafft habe, den verdammten Treiber für die verdammte Webcam korrekt zu installieren, denn ich habe jetzt heftigen Muskelkater im Mittelfinger. Nicht wegen der überengagierten Mütter, die von den anderen erwarten, dass die auch mal eben ein, zwei Tage Urlaub nehmen, um den Abschlussklassen ihre ach so interessanten Berufe vorzustellen. Auch nicht wegen der Eltern, die sich beschweren, dass kein Sportunterricht per Videokonferenz angeboten wird. Also nicht nur wegen der. Nein. Wisst Ihr, was die Schulleitung zum Thema Homeschooling sagte? „Die Eltern sollten sich bitte aus dem Homeschooling etwas mehr raushalten, damit die Lehrkräfte eine realistische Rückmeldung über den tatsächlichen Wissenstand der Kinder erhalten.“  Welchen Wissensstand? Soll ich mein Kind ins offene Messer laufen lassen, ein Kind, das nicht die Spur einer Ahnung von Durchmessern, Tangenten und Sehnen hat, weil eine Seite im Mathebuch und ein kurzes Youtube-Video für das tiefe Verständnis der Geometrie einfach nicht ausreichen? Wenn jede abgegebene Seite für die mündliche Note zählt und ein schlecht lesbar abfotografiertes Blatt gnadenlos mit einer 5 bestraft wird? Eine realistische Rückmeldung des tatsächlichen Wissensstandes wäre ein weißes Blatt mit einem Popel drauf. Bestenfalls. Ob die Schulleitung das wirklich möchte? Wisst Ihr was? Kann sie haben.  Sobald ich es geschafft habe, Briefmarken zu kaufen.