Die fünfmillionste gestresste Mutter, die selbst an ihrem Stress schuld ist, weil sie ja schließlich Kinder wollte, lamentiert über Doppelbelastung durch Home Office und Homeschooling

Zum Thema Belastung der Eltern durch Homeschooling wurde im Grunde schon alles gesagt. Blogs, Zeitungen, Kommentarspalten sind voll. Das Thema wurde bereits von allen Seiten beleuchtet. Aber noch nicht von mir. Also hier der fünfmillionste Blogbeitrag einer überforderten Mutter.

Ich halte mich selbst für einen ziemlich gut organisierten Menschen. Mein Zuhause bildet das nicht immer ab, aber weil ich so gut darin bin, alles im Kopf zu behalten, überblicke ich das häusliche Chaos eigentlich ziemlich gut und verbringe selten mehr als 2 Stunden pro Woche mit der Suche nach wichtigen Dokumenten oder verlorenen Brillen und Zahnspangen. Ich habe einen Teilzeit Job für 6 Stunden am Tag und regele nach Feierabend die medizinischen, musikalischen und sportlichen Termine von zwei Kindern sowie die Elternvertreter-Themen, die so anfallen. Ich bezahle unsere Rechnungen pünktlich, mache die jährliche Steuer-Erklärung immer schon nach der ersten Mahnung, schreibe nach den Elternabenden Protokoll, alle Familienmitglieder haben immer saubere Unterhosen und Socken (nicht im Schrank, aber im Wäschekorb vor dem Schrank), haben immer Duschgel und Zahnpasta zur Verfügung und finden immer etwas Essbares im Kühlschrank. Ich lüfte zweimal täglich die Wohnung durch weit geöffnete ungeputzte Fenster und achte darauf, dass die vereinbarte Medienzeit der Kinder zumindest unter der Woche nicht überschritten wird. Das ist nicht immer leicht, aber machbar, wenn man bei Dingen wie persönlicher Freizeit, Sport oder dem Nährstoffgehalt des Abendessens Abstriche macht.

Aber jetzt kommt ein komplett neues Thema on top: Homeschooling. (Was ich grundsätzlich befürworte. Team zero Covid. Bitte Schulen nicht vorzeitig öffnen!! Man darf nämlich für geschlossene Schulen sein und trotzdem das Konzept des Distanzunterrichts kritisieren.) Also. Homeschooling. Ich bin jetzt auch dafür verantwortlich, dass ein Dritt- und ein Sechstklässler selbständig die ihnen zugewiesenen Aufgaben erledigen und muss die dafür notwendigen Materialien (A2-Pappen, Gitarrensaiten, Musterbeutelklammern und Phönixfedern) heranschaffen. Ich muss den Drucker immer betriebsbereit halten, damit der Ältere sich die PDFs aus dem iServ Aufgabenmodul selbst ausdrucken kann bzw. muss ihm das Ausdrucken abnehmen, wenn der Drucker mal wieder herumzickt. Wöchentlich Tintenpatronen wechseln, Ausrichtungsseiten drucken und scannen, Papierstau beseitigen, Ihr kennt das. Ich muss die Webcam an meinem Laptop irgendwie betriebsbereit kriegen, wenn morgens um 8 Video-Unterricht stattfindet, und das Kind dafür wecken und zum Duschen antreiben, als wäre ein normaler Schultag, obwohl es abends schlafen geht, als seien Ferien. Und ich muss das andere Kind davon abhalten, in diese Konferenzen reinzuplatzen und dort Quatsch zu machen. Bei den „allein“ zu bearbeitenden Arbeitsblättern und Buchseiten muss ich häufig helfen, geeignete Quellen für die Antworten im Internet zu finden und immer die Abgabetermine im Hinterkopf behalten, weil die Kinder ihre Prioritäten minimal anders setzen als von den Lehrkräften gewünscht. Und ich muss dafür sorgen, dass sie erst die Aufgabenstellung lesen, dann ein bisschen nachdenken und dann vor dem Losschreiben noch Datum und Aufgabe oben aufs Blatt schreiben. Und nach dem Einscannen sinnvolle Dateinamen vergeben. Klar sollten sie das allein können, aber Konzentration funktioniert bei überdurchschnittlich kreativen Kindern generell nicht so gut und zu Hause schon dreimal nicht. Das alles regele ich natürlich, während ich im neu errichteten Home Office (Home Office ist neudeutsch für „irgendwo in der Wohnung umfunktionierte Rumpelecke mit Monitor, Tastatur und unergonomischem Stuhl“) meinem eigenen Job nachgehe, der sich auch nicht von selbst erledigt. Was gut so ist, denn wenn er das täte, wäre ich ihn ja längst los. Die Homeschooling-bedingten Pausen kann ich zwar dank verständnisvoller Geschäftsleitung entspannt hinten dran hängen, aber das geht dann wieder von meiner Zeit für die Zubereitung und Einnahme des Mittagessens ab. Aber das schmeckt eh nicht, wenn man direkt danach zum nächsten Arzttermin muss, um sich mit dem Arzt darüber zu streiten, warum man während des Lockdowns das Kind nicht einfach vormittags bringen kann. Der Kieferorthopäde war sehr überrascht, als ich ihm beichtete, dass ich nicht in Vollzeit Kindertaxi fahre, sondern das Spritgeld noch anderweitig verdienen muss.  Zu lange darf man diese Diskussion aber nicht ausdehnen, wenn anschließend noch eine Schulelternratssitzung im iServ Videochat stattfindet. Und die hat heute für mich den Vogel abgeschossen. Wie gut, dass ich es nicht geschafft habe, den verdammten Treiber für die verdammte Webcam korrekt zu installieren, denn ich habe jetzt heftigen Muskelkater im Mittelfinger. Nicht wegen der überengagierten Mütter, die von den anderen erwarten, dass die auch mal eben ein, zwei Tage Urlaub nehmen, um den Abschlussklassen ihre ach so interessanten Berufe vorzustellen. Auch nicht wegen der Eltern, die sich beschweren, dass kein Sportunterricht per Videokonferenz angeboten wird. Also nicht nur wegen der. Nein. Wisst Ihr, was die Schulleitung zum Thema Homeschooling sagte? „Die Eltern sollten sich bitte aus dem Homeschooling etwas mehr raushalten, damit die Lehrkräfte eine realistische Rückmeldung über den tatsächlichen Wissenstand der Kinder erhalten.“  Welchen Wissensstand? Soll ich mein Kind ins offene Messer laufen lassen, ein Kind, das nicht die Spur einer Ahnung von Durchmessern, Tangenten und Sehnen hat, weil eine Seite im Mathebuch und ein kurzes Youtube-Video für das tiefe Verständnis der Geometrie einfach nicht ausreichen? Wenn jede abgegebene Seite für die mündliche Note zählt und ein schlecht lesbar abfotografiertes Blatt gnadenlos mit einer 5 bestraft wird? Eine realistische Rückmeldung des tatsächlichen Wissensstandes wäre ein weißes Blatt mit einem Popel drauf. Bestenfalls. Ob die Schulleitung das wirklich möchte? Wisst Ihr was? Kann sie haben.  Sobald ich es geschafft habe, Briefmarken zu kaufen.

Der Corona-Chroniken letzter Teil

Wisst Ihr was? Ich kapituliere.  Ich bin an dem Punkt, wo es eigentlich auch schon egal ist.

Seit Monaten versuche ich meinen Beitrag zu leisten. Verantwortung zu übernehmen. Teil der Lösung statt Teil des Problems zu sein. Ich treffe meine Freund*innen gar nicht oder mit Abstand draußen, bis auf zwei Ausnahmen, wo ich das Vermissen nicht mehr ausgehalten habe und wir Kaffee bzw. Tee drinnen getrunken haben.  Ich halte Abstand, trage Maske, vermeide vermeidbare Termine. Hole mir nach jedem unvermeidlichen Termin (Kind muss echt oft zum Kieferorthopäden) eine neue Risikobegegnung in der Warn-App ab. Trage alle Entscheidungen der Regierung mit, die, die ich für sinnvoll erachte und auch die, die ich überzogen finde. Weil ich es mangels Expertise leider nicht beurteilen kann, was wirklich sinnvoll oder überzogen ist. Beteilige mich am Crowdfunding für kulturelle Einrichtungen, damit die ihre Shows streamen können. Ertrage es, dass mein Mann statt am Pferdeturm (wo er hingehört) zu Hause ist und langweilige Eishockeyspiele in unserem schönen Zuhause streamt. Tröste das Kind, das seinen Geburtstag nicht feiern darf. Installiere auf allen Endgeräten Zoom, damit die Kinder trotz Pandemie an Bandproben teilnehmen können. Desinfiziere mir im Büro ständig die Hände, bis sie bluten. Und all das tu ich gern in dem Wissen, dass ich so die Wahrscheinlichkeit verringere, zu erkranken und oder andere anzustecken.

Und trotzdem werde ich wahrscheinlich bald an dem verkackten Virus verrecken, wenn mein Kind es aus der überfüllten Straßenbahn oder der Schule mit nach Hause bringt. Weil der Rat beschlossen hat, dass Lüftungsanlagen für Klassenräume Quatsch sind und die Kinder lieber beim Stoßlüften frieren sollen. „Zwiebellook“ ist für mich schon jetzt das Unwort des Jahres. Weil das Kultusministerium beschlossen hat, die Schulen um jeden Preis offen zu halten, statt Lösungen für digitalen Unterricht oder wenigstens geteilte Klassen anzubieten. Weil die Region es nicht für nötig erachtet, den ÖPNV mit den nötigen finanziellen Mitteln auszustatten, um in Stoßzeiten mehr Busse und Bahnen einzusetzen. Weil die Schulleitung es für Zeitverschwendung hält, den Vorschlag von versetztem Unterrichtsbeginn der eng beieinander liegenden Schulen der Südstadt überhaupt in Erwägung zu ziehen.

Es ist nicht fair, wenn man alle vermeidbaren Risiken vermeidet und trotzdem gezwungen ist, das Kind in hoffnungslos überfüllten Bahnen in ebenfalls überfüllte Klassenzimmer zu schicken. Und sich KEINE SAU dafür interessiert. Die Bahnen sind voll? Tja, gibt nicht genug Bahnfahrer*innen, kann man nix machen. Eine Haltestelle bedient sieben Schulen, die alle um acht beginnen? Ja, aber jetzt die Anfangszeiten zu ändern, würde doch den Stundenplan total durcheinander bringen. Man könnte Schulen technisch mit Luftfilteranlagen aufrüsten, aber das wäre ja zu wartungsintensiv. Man könnte auf digitalen Unterricht umstellen, aber das würde ja finanziell schwache SuS benachteiligen. Außerdem wäre es ein Betreuungsproblem für arbeitende Eltern. Als ob die Betreuungsprobleme für arbeitende Eltern im März irgendwen interessiert hätten! Dann beginnen wir lieber eher mit den Weihnachtsferien. Hups, ist auch ein Betreuungsproblem, aber hier geht es schließlich um das christliche Fest der Liebe. Da möchte man mit der ganzen Familie unter dem Geschenkpapierberg begraben werden.

Ich will nicht, dass die Schulen schließen, aber ich will unter diesen Umständen auch nicht, dass sie offen sind. Egal wie man es dreht, es ist eine Lose-Lose-Situation. Und wenn man eh nur verlieren kann, ist es jetzt wirklich auch einfach egal. Ich bin jetzt raus aus der Corona-Sache, macht Euren Scheiß doch alleine. Ich kurbele jetzt die Wirtschaft an, indem ich ganz viel Schokolade esse, das schafft Arbeitsplätze in der Süßwarenindustrie und ich brauche für meine bevorstehende Beerdigung zwei zusätzliche Sargträger*innen. Win-Win. Alles eine Frage der Perspektive.

Mein Alltag mit Corona oder the end of the world as we know it (4)

Die Corona-Chroniken Teil 4: Team Stay at Home oder Team Zwangsimpfung und was Alexander der Große damit zu tun hat

 

Text Anna Schrader, Illustration Manja Kläwer (Stiftmarkerpapier.de)

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Kommen wir zum nächsten Punkt, der die Corona-Krise für mich bedrohlich macht: Die Notwendigkeit, sich zu positionieren. Wer vor der Mundschutz-Pflicht mit Mundschutz einkaufen ging, war ein Opfer der medialen Panikmache. Wer jetzt ohne Mundschutz einzukaufen versucht, ist ein gesellschaftsgefährdender Aluhut-Träger.

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Und jeder Mensch, mit dem man ins Gespräch kommt, wird sorgfältig einsortiert. Team stay at home, Drosten-Podcast und Mundschutz vs. Team Wodarg, Bill Gates und Zwangsimpfung. Ich habe mich in Team Drosten positioniert und fühle mich da meistens gut aufgehoben, aber bin hoffnungslos überfordert, wenn jemand vom anderen Team mit mit Youtube-Argumenten an die Wand quatschen will.

 

Ich habe keine Lust, zu „recherchieren“, wer die Geldgeber des RKI sind. Es ist mir sogar scheißegal. Ich will einfach nur, dass keine Leute an Covid 19 sterben, ganz besonders bitte niemand aus meinem Umfeld. Ich will das Zeug selbst auch nicht haben, wenn’s geht. Und wenn ich es doch kriege, hätte ich gern medizinische Versorgung von noch nicht total ausgebrannten Ärztinnen und Pflegern und ein Klinikbett für mich allein. Darum finde ich die stay at home Geschichte zwar nervig, aber notwendig. Das qualifiziert mich natürlich zum von der gleichgeschalteten Mainstream-Presse hypnotisierten Schlaf-Schaf.

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Bisher liegt nur eine Freundschaft auf Eis, Corona-Kryo-Therapie sozusagen, aber ich muss ernsthaft darüber nachdenken, auch den Zahnarzt zu wechseln, da mein bisheriger mir, während mein Kiefer bewegungsunfähig fixiert war, lange Vorträge über den teuflischen Plan von Bill Gates hielt.

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Zum Glück habe ich wenig Zeit, mir über meine zwischenmenschlichen Beziehungen Gedanken zu machen, denn ich verbringe immer noch die meiste Zeit mit Alexander dem Großen (nein, mein Sohn heißt nicht Alexander, er muss nur die Route von dessen Zug auswendig lernen) und mit dem Verlängern von Adjektiven.

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Nach zwei Wochen Intensiv-Home-Schooling mit Home Office musste ich kapitulieren: Mit dem Wissen, dass mein Chef eigentlich Kurzarbeit anmelden müsste, aber dem Team die Gehaltseinbußen nicht zumuten wollte, bat ich ihn, für mich Kurzarbeit anzumelden.

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Die Aktionen der nächsten Monate sind vorgeplant und müssen nur noch zum jewiligen Termin zum Lettershop gegeben werden, Tagesgeschäft haben wir fast gar nicht mehr – meine Bitte wurde erhört. Seit einigen Tagen kann ich mich also in Vollzeit auf das Home Schooling konzentrieren und schaue nur jeden zweiten Tag mal in die E-Mails, ob was anbrennt. Eigentlich müsste ich jetzt tiefenentspannt sein. BIN ICH ABER NICHT.

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Es ist leider so: Wenn ich der Meinung gewesen wäre, ich hätte ein Talent, Dinge zu erklären, dann hätte ich Lehramt studiert. Habe ich aber nicht. Ich mache Marketing, weil man da nicht lange rumerklären muss, man muss die Zielgruppe eher auf einer emotionalen Ebene zu packen kriegen, zu viel Detailwissen würde die nur verunsichern. Und jetzt soll ich die Stationen des Alexanderzugs aufsagen können? Und mal ehrlich – was hatte der Typ denn für ein Navi? Hin und zurück und nochmal Richtung Osten und wieder Susa… Der Heini hätte Hermes-Fahrer werden sollen!

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to be continued…

 

Mein Alltag mit Corona oder The end of the world as we know it (3)

Die Corona-Chroniken Teil 3: Warum ich den Schulcaterer am meisten vermisse

 

 

Meine Kinder haben übrigens auch einen Vater. Der wohnt sogar auch hier.

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Aber der darf noch ins Büro. Er dürfte auch ins Home Office, aber er hat einen gesunden Überlebensinstinkt und geht lieber ins Büro. Scheiß-Verpisser. Kluger Mann.

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Zu seinem Leidwesen und meiner Erleichterung wurde er zwischendurch mal gezwungen, Überstunden abzubauen und zu Hause zu bleiben. In der Zeit nahm er sich des kleinen Verweigerers an und erinnerte den alle 10 Sekunden daran, nicht in die Luft zu starren, sondern ins Heft zu schreiben, während ich mich zwischen Darmschleimhaut-Artikeln und den alten Griechen hin- und herbewegte. Sollte jemand mal beim Lesen eines Artikels über Morbus Crohn verwundert sein, wie trojanische Pferde in die Darmschleimhaut geraten können – einfach ignorieren. Das trojanische Pferd gehört natürlich in den Artikel über das Leaky-Gut-Syndrom, das weiß doch jeder.

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Was mich auch stresst, ist die nicht immer funktionierende Rufumleitung auf mein Handy. Manchmal kommt den ganzen Tag kein Anruf, dann landen plötzlich auf meinem Handy die Anrufe für meine Kollegin aus der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung, bevorzugt, wenn ich schon längst Feierabend habe und mein Handy gerade für Pokémon Go benötigt wird. Aber wir Mütter sind ja Multi-Tasking-fähig, ich kann gleichzeitig mit meinem Handy ein Bisasam fangen und einer Heilpraktikerin erklären, warum man bei Histamin-Intoleranz das Darmschleimhaut-Therapeutikum nur einschleichend dosieren darf.

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Viele Komiker*innen machen derzeit Witze darüber, dass die Eltern jetzt erst sehen, was die Lehrkräfte so leisten. Ja ja, das ist auch ein Faktor, klar, die Lehrerinnen und Lehrer können sicher deutlich besser erklären als ich. Die haben das ja studiert, ich habe keine Ahnung von Didaktik. Also gut, ein kurzer Applaus für die Lehrer. Wo-hoooo. Bravo!
Aber wer mir WIRKLICH viel Arbeit abgenommen hat vor Corona sind der Schul-Caterer bzw. der Hort-Koch.

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Ist das eigentlich normal, dass Kinder 14 Mal pro Tag essen wollen, bevorzugt warm? Vor Corona musste ich morgens ein Frühstück (Müsli mit Hafermilch) zur Verfügung stellen, für den Vormittag eine Snackbox packen (Vollkornbrot, Gurke, Apfel, Paprika – schnell gemacht!) und irgendwann abends nochmal etwas Brot und Belag auf den Markt werfen. Seit Corona bin ich für 100 % aller Mahlzeiten meiner Brut zuständig. Und für meine eigenen Mahlzeiten. Vorbei sind die Zeiten, wo man abends einfach mal ein paar Tapas essen ging, während die Kinder mit der Babysitterin Tip Toi spielten. Stay at home ist auch eat at home. Und wer kocht? Mama. Morgens, mittags, abends und dazwischen. Und im Gegensatz zum landläufigen Vorurteil nicht täglich Nudeln mit Klopapier.

 

 

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Was sich neben der Ernährung noch drastisch verändert seit Corona ist das Zeitgefühl. Jeden Morgen kommen die Kinder später raus aus dem Bett, jeden Abend später rein ins Bett. Der Zeitpunkt, an dem ich mir einen Cider aus dem Kühlschrank hole, kommt dafür jeden Tag etwas früher. Entgegen der bisherigen Vermutungen der Wissenschaft schädigt das Virus neben Lunge und Nieren auch sehr nachhaltig die Leber.

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To be continued…

Mein Alltag mit Corona oder The end of the world as we know it (2)

Die Corona-Chroniken Teil 2 – Was Homeoffice mit Homeschooling zu tun hat

Zum Glück bekam auch mein Chef Ansteckungsangst und verbannte mich ins Home Office. Was früher nie gegangen wäre. Aus „Home Office? Unmöglich, ich brauche Sie vor Ort!“ wurde „hier ist Ihr PC für zu Hause, wenn Sie den VPN Tunnel aktiviert haben, rufen Sie mal durch und wir schauen, ob alles läuft.“ Von dem Tag an wurde mein Küchentisch zum Büro.

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Wir befinden uns in diesem Bericht noch in der Zeitrechnung „nach Schulschließung, vor den Osterferien“ und gleiten sanft über in den Zeitraum „die Osterferien.“ Aus den 20 Minuten Schularbeit pro Tag wurden 0 Minuten pro Tag. Die Kinder lernten eine völlig neue Fähigkeit: Ausschlafen!

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Ich lernte auch eine völlig neue Fähigkeit: Den Grad der Verschmutzung meiner Küche komplett zu ignorieren und jeden Morgen Punkt 8 an meinem Küchentisch-Arbeitsplatz zu sitzen und die herrliche Ruhe zu genießen. Unglaublich, was ich in der Zeit alles geschafft habe! Ich habe alle Marketingaktionen für das zweite Halbjahr geplant, 7 oder 8 Mailings formuliert und an die Grafik weitergegeben, die Statistiken aller bisherigen Marketingaktionen vervollständigt und ausgewertet und nebenbei sogar lange liegengebliebene Fleißarbeiten wie Adresskorrekturen erledigt.

Wenn gegen 11 die Kinder aufstanden, gönnte ich mir eine Tee-Pause.

Ich stellte den Kindern die Müslischalen auf den Tisch und ging wieder an die Arbeit, sobald sich die Jungs in ihr nächstes Lego- oder Pokémon-Abenteuer zurückzogen.
Kurz dachte ich, so könnte es ruhig ewig weitergehen. Doch irgendwann waren die Osterferien zu Ende. Und je mehr Aufgaben über iServ eintrudelten, desto dramatischer kehrte der Hautausschlag des Großen zurück, zusammen mit meinem Tinnitus. Und mit jedem Tag wurden Home Office und Home Schooling weniger miteinander vereinbar.

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Selbst an dem Tag, als zufällig die Themen identisch waren – ich musste einen Artikel über Enzyme in der Verdauung Korrektur lesen und der Große musste eine Tabelle der Verdauungsenzyme und ihrer Aufgaben erstellen – stellte ich fest, dass ich in 6 Stunden Home Office nicht mehr die Effizienz an den Tag legte, die ich in 6 Stunden richtiger Büroarbeit gehabt hätte.
Ich weiß gar nicht, welches Kind mich aktuell mehr stresst: Der Fünftklässler, der mich oft bittet, ihm etwas zu erklären oder ihm beim Ausdrucken oder Einscannen zu helfen, oder der Zweitklässler, der die Arbeit einfach komplett verweigert. Die Grundschule macht ganz konkrete Tagespläne. 15 Minuten Grundschrift üben, 20 Minuten im Karibu-Heft, 20 Minuten im Mini Max, 15 Minuten Kopfrechnen mit dem Multiplikations-Fächer, 20 Minuten Anton App.

 

Coronachroniken konzentrationDer junge Herr meint, wenn er die entsprechende Zeit mit dem entsprechenden Arbeitsmittel in der Hand in die Luft guckt, sei die Aufgabe erfüllt.
Der Fünftklässer versucht es wenigstens, aber sieht auch nicht die Notwendigkeit, die Fragen in ganzen Sätzen zu beantworten. Die Aufgabenstellung „betrachte das Foto von Europa bei Nacht und finde eine Erklärung für die unterschiedliche Helligkeit in manchen Bereichen. Erkennst Du ein Muster?“ beantwortet er mit „Straßenlaternen.“ Reicht doch. Ein gutes Pferd springt nur so hoch, wie es muss.
Coronachroniken pferd

To be continued…

 

 

 

Mein Alltag mit Corona oder The end of the world as we know it (1)

Liebe Leser*innen,

hier war es lange ruhig. Der Grund dürfte für jeden offensichtlich sein.

Aber aus großer Not entsteht große Kreativität. Und so auch eine Kooperation. Die wunderbare Manja von stiftmarkerpapier.de wollte gern mal Texte von mir illustrieren, so haben wir mit den Corona-Chroniken angefangen. Und so geht es los:

 

Teil 1 – Wie mich das Ende der Welt überraschte

The end of the world as we know it – der Song von REM ist aktueller denn je.

Das Ende der Welt, wie ich sie kannte, begann am Donnerstag, 12. März 2020. Da vermeldete die Neue Presse Hannover, dass in der bevorstehenden Woche die Schulen geschlossen werden. Ich saß auf dem Spielplatz, als diese Pressemeldung auf mein Handy schwappte. Panik breitete sich aus – auch andere Mütter auf dem Spielplatz hatten die NP abonniert. Sofort gab es wilde Diskussionen. Die ersten Notbetreuungsvereinbarungen wurden getroffen. „Montag muss ich unbedingt ins Büro, Dienstag kann ich Überstunden abbauen, da kann ich Dein Kind mit betreuen, nimmst Du meins Montag? Und wer hat am Mittwoch frei? Donnerstag kann unsere Babysitterin kommen, die übernimmt bestimmt gern noch zwei zusätzliche Kinder.“

Kaum waren die Wochentage verteilt, kam die nächste Pressemeldung: April April, das Kultusministerium hat die Meldung gar nicht bestätigt. Und das war der Punkt, an dem meine Welt sich plötzlich merklich anders drehte: Ich war gar nicht erleichtert, sondern besorgt. Obwohl es beruflich der Super-Gau wäre, ich wollte nicht, dass meine Kinder mit der akuten Bedrohung durch Corona in die Schule gehen. Umso erleichterter war ich, als am Freitag, dem 13.3. auch endlich das Kultusministerium bekanntgab, dass die Schulen doch geschlossen würden. Hätte ich in den zwei Tagen ein Langzeitblutdruckmessgerät getragen, wäre das wahrscheinlich am Freitagmittag explodiert.

Wir haben also eine Zeitrechnung vor Schulschließung und nach Schulschließung. Innerhalb der Zeitrechnung nach Schulschließung unterteile ich noch in vor den Osterferien und nach den Osterferien.

Denn vor den Osterferien gab es von den Schulen meiner Kinder die Empfehlung, einfach mal die Mappen durchzugehen und ein bisschen zu wiederholen. Was bei dem unglaublichen Fleiß, Ehrgeiz und Engagement meiner Kinder ungefähr 20 Minuten pro Tag in Anspruch nahm. Den Rest der Zeit verbrachten die beiden entspannt mit Lego, Pokémon-Karten und Teufelskicker-Hörspiel-CDs und mit ihren Freunden aus der schnell gegründeten Notgruppe. Den Kindern ging es besser denn je, der Hautausschlag des Älteren verschwand auf magische Weise spurlos, und die Notbetreuung aus drei sich abwechselnden Müttern mit Unterstützung einer bezahlten Babysitterin funktionierte dank unerschöpflicher Nudel-Vorräte und in den ersten Tagen noch geöffneter Spielplätze einwandfrei. Ok, als die Notbetreuung in meiner Wohnung stattfand, wurde mit Aquarellkreiden auf die Küchenwand gemalt und das Waschbecken mit Play-Mais und das Klo mit einer ganzen Rolle Klopapier verstopft.

Aber im Großen und Ganzen hatte ich noch fast ein normales Leben und durfte sogar an den Tagen, an denen die anderen Mütter mit Betreuen dran waren, ins Büro. Doch die Situation verschärfte sich. Die Spielplätze wurden geschlossen, Kontaktverbote ausgesprochen, die unsere kleine Notgruppe plötzlich in die Illegalität trieben, und die erste Mutter stieg aus Ansteckungsangst aus.

To be continued…

Protokoll der Schulelternratssitzung vom 3.9.2019

Ich dachte immer, ich würde eines Tages mal Bücher füllen über meine Zeit im Schulelternrat der Grundschule. Das war, bevor ich in den Schulelternrat einer weiterführenden Schule gewählt wurde. Gerade komme ich von der ersten Sitzung. Um den nun folgenden Text besser zu verstehen müsst Ihr wissen, dass ich es nicht geschafft habe, vorher Abendbrot zu essen, und das Mittagessen war aus diversen Gründen auch ausgefallen, mein Speiseplan bestand also bisher aus einem Frühstücksbrot mit Gurke, zwei Schokokeksen und einem kleinen Ben&Jerry, alles vor 14 Uhr, danach war unfreiwillig Fastenzeit.

18:50 Uhr. Ich bin etwas zu früh dran, weil ich nicht einschätzen konnte, wie lange ich mit dem Fahrrad brauche. Den Raum finde ich auf Anhieb und suche mir einen Platz, wo man gut sieht, ohne gesehen zu werden. Ich bin die zweite, direkt nach mir trudelt die Vorsitzende ein.

18:58 Uhr. Es ist so voll, dass Stühle aus dem Nebenraum geholt werden müssen.

18:59 Uhr. Ich erkenne eine Arbeitskollegin aus meiner Kneipenzeit vor 22 Jahren und einen Ratsherrn einer anderen, aber immerhin sympathischen Partei. Ich freue mich, in so illustrer Runde zu sitzen.

19:00 Uhr. Der Spaß beginnt. Begrüßung, Feststellung der Beschlussfähigkeit, Verabschiedung des Protokolls, bla bla bla.

19:08 Uhr. Vorstellungsrunde. Alle 31 Anwesenden sollen ihren eigenen Namen, den ihrer Kinder und die Klasse ihrer Kinder nennen.

19:42 Uhr. Ich bin überrascht, dass ich nicht auch über Kaiserschnittnarben informiert wurde. Mein Magen knurrt.

19:45 Uhr. Die Schulleitung berichtet über aktuelle Themen und Projekte. Als die Direktorin erwähnt, dass aktuell Überlegungen angestellt werden, wie man den Stundenplan und die Projektarbeit in den höheren Klassen so anpassen kann, dass die Schülerinnen und Schüler sich ohne viel Stoff zu verpassen bei Fridays for future engagieren können bzw. Aktivitäten bei fff als Projektarbeit gewertet werden können, weiß ich: Hier ist mein Kind richtig.

19:50 Uhr. Mein Magen knurrt so laut, dass mich Leute mitleidig ansehen.

20:00 Uhr. Die Wahlen für diverse Ämter und Fachkonferenzen verlaufen überraschend entspannt, es gibt gerade genug Freiwillige, um alle Ämter zu besetzen, aber keiner kloppt sich drum. Schöne Abwechslung zur Grundschule, in der immer alle hochkonzentriert ihre Fingernägel inspizieren, wenn es um Ämtervergabe geht. Wie schön, am Gymnasium wird alles besser.

20:50 Uhr. Bei der Frage, ob die Schule aufgrund einiger Kinder mit schweren Erdnussallergien in Zukunft erdnussfrei werden könnte, weiß ich: Hier bin ich falsch. Wenn man ernsthaft darüber diskutieren muss, ob es für das eigene Kind zumutbar ist, in der Pause kein Snickers kaufen zu dürfen, nur weil ein anderes Kind daran sterben könnte, wenn neben ihm Snickers gegessen wird, dann diskutiert man wahrscheinlich auch darüber, ob man ertrinkende Menschen retten sollte. Mein selbstloses Angebot, vorsorglich alle Snickers und Mr. Tom Riegel aus der Schulcafeteria persönlich zu entsorgen, findet keine Mehrheit.

21:20 Uhr. Es ist ein Schulfest zu planen und eigentlich ist das die Aufgabe des Fördervereins, aber der macht es jetzt doch nicht, also wird die komplette anwesende Elternschaft für Fress-Stände oder Deko eingeteilt. Dass das Schulfest in 1 ½ Wochen ist, macht das Ganze nicht wirklich leichter. Ich bin auf einmal sehr froh, an dem Tag auf einer Hochzeit eingeladen zu sein. (Auch weil ich das Brautpaar sehr mag, aber normalerweise hasse ich Hochzeiten und dieses Mal werde ich jede Sekunde feiern, dass ich keine Würstchen verkaufen muss.)

21:40 Uhr. Der Organisator der Schulcafeteria braucht ehrenamtliche Unterstützung und wirbt sehr emotional für die Mitarbeit. Er zählt auf, welche Snacks täglich frisch für die Kinder zubereitet werden müssen. Über 10 verschiedene Sorten belegte Brötchen, z.B. mit frischen Tomaten und Mozarella, täglich frisch aufgebackene Laugenstangen, frisches Obst… Alter, hol die Scheiße zum Probieren her oder halt’s Maul. Das denken offenbar noch mehr Menschen, denn niemand meldet sich freiwillig. Was wohl auch daran liegt, dass die Schulcafeteria von 8 bis 13 Uhr geöffnet ist und die meisten Menschen dann arbeiten. Jedenfalls sollen wir als Elternvertreter unserer Klassen bitte dort auch nochmal darauf hinweisen, wie dringend die Cafeteria Unterstützung braucht. Um mein Gewissen zu beruhigen, trete ich dem Förderverein bei und verpflichte mich, 30 Euro im Jahr zu zahlen. Wie ich „meine“ Klasse von der Mitarbeit überzeugen soll, weiß ich noch nicht, denn im Gegensatz zur Grundschule im Stadtteil, wo ich mir von so ziemlich jeder Mutter schonmal ein Feuchttuch oder eine Dinkelbrezel auf dem Spielplatz geborgt habe, kenne ich in der 5. Klasse niemanden.

21:50 Uhr. Der Hausmeister will Feierabend machen und wirft uns raus.

22:10 Uhr. Die Pizzeria, an der ich kurz anhalte, schließt gerade.

22:12 Uhr. Der Falafel-Laden auch.

22:14 Uhr. Der Falafel-Laden daneben hat noch auf und verkauft mir eine kalte, nicht leckere Falafel-Rolle. Ich bin im siebten Himmel.

Ende des Protokolls.

Warum ich kein Weihnachtsmensch bin

Advent. Keine Zeit im Jahr führt mir meine Unzulänglichkeit deutlicher vor Augen als die Vorweihnachtszeit. Warum?

Im Fernsehen gibt es nur noch Werbespots mit festlich geschmückten Wohnungen, weihnachtlicher Beleuchtung und gut gekleideten und gestylten Menschen, die lachend an einer großen Tafel oder unter einem noch größeren Weihnachtsbaum sitzen und sich über ihre Geschenke und das Essen und vor allem das Zusammensein freuen. AM ARSCH. Würde ein Kamerateam in unsere Wohnung kommen, würde der Kabelträger erstmal über das Kabel vom Staubsauger fallen und der Beleuchter stünde mit einem Fuß in einem Altpapierkarton, mit dem anderen in der Bügelwäsche. (Bügelwäsche klingt netter als das, was es in Wahrheit ist: Ein unsortierter Haufen gewaschener und nicht weggeräumter Klamotten, die zwar gern gebügelt werden möchten, aber in unserem Haus nicht werden. )

Dann das Geschenkethema. Es gibt da so dieses Idealbild von ein paar wunderschön verpackten Geschenkekartons unter dem Baum, jeder bekommt eines, es ist eine große Überraschung und noch größere Freude für jeden. AM ARSCH. Ich habe jetzt nicht so ein großes Problem damit, etwas für meine Kinder zu finden, Wünsche haben die immer mehr als genug, aber trotzdem zeigt mir die Schenkerei auch wieder meine Unzulänglichkeit. Wir wollten nämlich eigentlich die Kinder ein bisschen minimalistischer aufziehen, ein Geschenk pro Kind und das idealerweise auch eher hochwertig statt Plastikschrott. Nun sind die beiden aber im Lego-Fieber und werden daher nicht nur von uns, sondern auch von den Omas, Onkel, Tanten und Pateneltern Lego bekommen. Viel Lego. Sehr viel Lego. Barfußgehen wird in den nächsten Monaten zur Tortur. Aber soll ich ihnen lieber eine pädagogisch wertvolle Holzeisenbahn kaufen, wenn sie doch nur mit Lego spielen? Etwas völlig anderes zu schenken, wäre zwar eine große Überraschung, aber definitiv keine Freude, also doch Lego, was dann zur großen Freude ganz ohne jegliche Überraschung führt.

Eigentlich wollten wir auch als festes Ritual einführen, dass vor Weihnachten die Kinderzimmer einmal aufgeräumt und grundgereinigt werden, damit Platz für die neuen Geschenke geschaffen wird und außerdem aussortierte Spielzeuge rechtzeitig an die Toy Company oder Die!!! Weihnachtsfeier gespendet werden können. AM ARSCH. Unser diesjähriges Aufräumen war eher ein alles vom Boden Aufheben und in Kisten Schmeißen, damit wenigstens mal gesaugt werden kann.

Baum: Die Vorzeigefamilie geht in den Wald, schlägt sich einen Baum, schmückt den gemeinsam und er ist riesig und glänzt und strahlt so schön, dass alle spontan „am Weihnachtsbaume die Lichter brennen“ anstimmen. AM ARSCH. Ich will keine toten Bäume im Wohnzimmer. Unser Topfbaum vom letzten Jahr hat auf dem Balkon leider nicht überlebt. Einen Kunstbaum haben wir noch auf dem Dachboden, aber den findet der Herr des Hauses zu klein. Und nu? Größeren Kunstbaum kaufen? Oder die Christbaumkugeln an den Drachenbaum hängen? Egal wo sie hängen, es wird furchtbar sein, weil die Kinder ja mit schmücken möchten. Sie möchten aber nicht überlegen, was wohin passt. Der Vorgang des Schmückens dauert bei uns im Schnitt 4,25 Minuten, in denen die Kinder alles, was in der Kiste ist, herausreißen und irgendwo am Baum aufhängen, bevorzugt nur an einer einzelnen, ganz außen wachsenden Nadel befestigt, sodass es nach wenigen Minuten wieder abstürzt. Mein geplantes Farbkonzept mit magnolien- und taupefarbenen Kugeln mit filigraner Silberverzierung wird also unterbrochen durch Fimo-Figuren von Maus und Elefant, selbtbemalte Kugeln aus dem Kindergarten, hässliche Porzellanglocken, die es mal bei meiner Arbeit geschenkt gab und „Kugeln“ in Form von Fußballtrikots in 96-Farben. Wann möchte das Kamerateam von Schöner Wohnen vorbeikommen?

Weihnachtsmärkte. Man trifft sich spontan mit ein paar Freunden oder Kollegen nach der Arbeit auf dem Weihnachtsmarkt und gönnt sich noch ein Heißgetränk und einen kleinen Snack. AM ARSCH. Spontan? Vor Weihnachten? Wer kann sich das denn bitteschön leisten? Die eine kann nur Dienstag, der nächste immer außer Dienstag und Donnerstag und die dritte kann noch nicht fest zusagen, weil die Kinderbetreuung noch nicht klar ist. Wenn das Gipfeltreffen dann doch zustande gekommen ist, möchte eine beim Kunsthandwerk schauen, eine sucht die den Apfel-Calvados-Stand und irgendwann verliert man sich im Gedränge. Ich stehe dann 10 – 15 Minuten beim Glögi an, um dann nach erfolgreichem Erwerb zweier Becher angerempelt zu werden und mir das Zeug über die Jacke zu gießen. Zumindest an der Stelle, wo der Glögi durch die Kleidung meine Haut verbrüht, ist mir dann kurzzeitig nicht kalt, an den Füßen dafür umso kälter. Auf der Suche nach einer Kleinigkeit zu Essen lande ich dann in Ermangelung anderer veganer Alternativen wieder beim Pommes-Stand und rieche endlich nicht mehr nur nach Beerenwein, sondern auch nach Frittierfett. Zum Abschluss noch ein Abstecher zum Mittelalter-Weihnachtsmarkt mit ein wenig vermeintlich mittelalterlicher Dudelsackmusik, wo ich noch schnell eine überteuerte angeblich handgemachte Lavendelseife für die Frau des Onkels meines Mannes kaufe, und dann ist dieser Punkt auf der Weihnachts-Vorfreude-To-Do-Liste auch endlich abgehakt. Mal ehrlich: Wer ist denn wirklich gern auf dem Weihnachtsmarkt? Also mal abgesehen vom IS?

Ach, und die Weihnachtsfeiern. Der Gedanke dabei ist doch, sich mit einem bestimmten Kreis von Menschen (Kollegen, Vereine, Betreuungseinrichtungen etc.) in entspannter Runde bei ein paar netten Leckereien zu treffen und mal in Ruhe zu quatschen. AM ARSCH. Inzwischen ist es zur totalen Verpflichtungs-Lawine geworden, die über uns hereinbricht. Wie kriegt man es geregelt, wenn Chor und Fußballverein mal wieder am selben Tag feiern? Wer besorgt das Sammelgeschenk für Trainer X und wer für Lehrkraft Y? Wer sammelt das Geld ein und was machen wir, wenn Familie Z mal wieder zusagt, sich zu beteiligen, aber dann doch nicht bezahlt? Die Frage, wer sammelt und wer besorgt, war in den letzten Jahren immer schnell beantwortet: Im Zweifelsfalle immer Anna. Dieses Jahr nicht. Was natürlich auch kacke ist, wenn man in den letzten Jahren so viel Arbeit und Herzblut in diese Sammelgeschenke investiert hat, dass inzwischen eine gewisse Erwartungshaltung daraus entstanden ist. Tja, Pech, meine Erwartungen erfüllt ja auch keiner.

Und dann die gemütlichen Advents-Sonntage im Kreise der Lieben. Mit Kuschelsocken, einem Becher Tee und einem schönen Buch mit Adventsgeschichten auf dem Sofa. Entspannt eine schöne Zeit haben und die Vorfreude auf Weihnachten genießen. AM ARSCH. Die gemütlichen Advents-Sonntage verbringe ich auf langen Spaziergängen zwischen Schmutzwäschebehälter und Waschmaschine mit gelegentlichen Abstechern zum Müllcontainer oder Geschirrspüler. Wenn ich mich mit einem Buch aufs Sofa setzen möchte, muss ich dort erstmal den Korb mit den Single-Socken, den Laptop und den Papierkram wegräumen, die stehen dann aber trotzdem noch in Sichtweite und schränken die Gemütlichkeit dabei massiv ein. Da nützen auch meine 12 Schneeflocken-LED-Lichterketten, mit denen ich im Haus eine verzauberte winterliche Atmosphäre zu schaffen versuche, herzlich wenig. Und schon haben wir den nächsten Unzulänglichkeitspunkt: Diese Lichterketten verbrauchen Batterien ohne Ende und ich habe mein Ladegerät für die wiederaufladbaren Batterien irgendwie verlegt, weshalb da jetzt Einwegbatterien drin sind.

Tja, und das gemütliche Beisammensein. In meiner Vorstellung sitzen wir dann auch an einer langen, festlich gedeckten Tafel und essen was Leckeres und lachen zusammen. AM ARSCH. Immerhin haben wir jetzt einen ausziehbaren Esstisch. Für Deko ist darauf aber kein Platz, echte Kerzen traue ich meinen Kindern nicht zu und das zu servierende Essen ist bei einer Familie mit sehr untraditionellen Ernährungsgewohnheiten auch eher schwierig. Wir haben zwei Kinder, die außer Nudeln eigentlich nichts essen, einen Papa, der alles isst, solange es mal ein Tier war, eine Oma, die gegen Schalentiere allergisch ist und kein fettiges Essen mag, eine Oma, die fettiges Essen liebt, aber wegen ihrer Erkrankung nicht essen darf, die dritte Oma, die weder im Glas noch in der Sauce Alkohol haben darf und eine Menüplanerin, die selbst keine Tiere isst und sich vor Fleisch ekelt, aber die Familie nicht enttäuschen will. Und das mit dem Lachen kriegen wir auch meistens nicht so richtig hin, es ist irgendwie immer stressig, man möchte es allen recht machen, aber es ist nie perfekt, es ist nie aufgeräumt genug, nie warm genug, nie festlich genug, nie traditionell genug. Ich bin einfach nie wasauchimmer genug. Ich will doch nur, dass sich bei uns alle wohlfühlen. Dass wir den familiären Aspekt des Konsumfestes in den Vordergrund stellen. Dass wir es genießen, einfach zusammen zu sein und uns schon auf das nächste Jahr freuen. Aber was nach den Festtagen stattdessen bleibt, ist meistens eine Art Katerstimmung inmitten von Lego-Verpackungen, nur noch schwach glimmenden Lichterketten und der langen Liste, was ich hätte besser machen müssen. (Spoiler: Alles.)

Wie schaffst Du das nur alles?

Neulich hat mich bei einem Chorauftritt eine andere Mutter gefragt, wie ich das eigentlich alles schaffe mit Arbeit, chronischer Krankheit und den vielen Terminen der Kinder. Ich habe kurz überlegt, ihr die Standard-Antwort zu geben: Ja, ist schon stressig, aber geht schon irgendwie. Aber das erschien mir dann doch falsch. Also habe ich ihr in Kurzform das gesagt, was ich Euch jetzt in Langform verrate: Ich schaffe es nicht. Kein bisschen. Ja, es gelingt mir irgendwie, die Kinder halbwegs pünktlich bei ihren Punktspielen, Chorauftritten oder Instrumentalstunden abzuliefern, aber an den Tagen, wo ich Mamataxi bin, läuft nichts anderes. In der Zeit läuft keine Waschmaschine, das Frühstücksgeschirr steht um 20 Uhr noch auf dem Küchentisch, weshalb wir unsere Lieferpizza am Couchtisch essen müssen, und die Hausaufgaben sind dann auch noch nicht durchgesehen. Ich schaffe das einfach nicht.

Montags haben die Kinder derzeit weder Sport noch Musik, also ist das der Tag für Augenarzt- und Kieferorthopädietermine, außerdem der Tag, an dem die Wohnung so weit entmüllt wird, dass am Dienstag die Haushaltshilfe durchfeudeln kann. Meistens schaffen wir es gerade so kurz vor knapp, bis Dienstagmorgen 7:45 Uhr die Bude betretbar zu zaubern. Die Haushaltsfee zaubert dann den Rest, weshalb man uns am Dienstagnachmittag in der Zeitspanne zwischen Hort und Fußballtraining auch unangemeldet besuchen kann. Was ich aber dann beim Fußballtraining wieder nicht schaffe, ist den Halbjahresbogen von der Minijobzentrale rechtzeitig auszufüllen. So eine Haushaltshilfe macht eigentlich mehr Arbeit, als sie abnimmt, man muss für sie aufräumen und zweimal pro Jahr Papierkrieg mit der Knappschaft führen. Das ist noch schwerer zu schaffen als Chorauftritte.

Es gibt im Bekanntenkreis eine Mutter, die ich immer bewundere, weil es bei ihr immer aufgeräumt und geputzt ist, und das ohne Haushaltshilfe, und die jeden Abend frisch und gesund für die Familie kocht. Außerdem schreibt ihre Tochter bessere Noten als mein Sohn und hilft freiwillig beim Salatschnippeln. Bei denen ist also alles perfekt. Dachte ich. Und ausgerechnet von der Mutter hörte ich kürzlich den für mich nicht nachvollziehbaren Ausspruch, dass sie mich dafür bewundere, wie organisiert ich doch bin. Tja, die war wohl noch nie am Montagnachmittag bei mir. Und auch nicht am Mittwochabend, wo ich mit einer halben Flasche Weißwein heulend auf dem Sofa sitze und nicht weiß, wie ich den Rest der Woche überleben soll. Dass also ausgerechnet die aus meiner Perspektive perfekte Mutter mich für organsierter hält als sich zeigt mir eins ganz klar: Wir alle scheitern jeden Tag auf die eine oder andere Weise an den selbstgesteckten Zielen. Und die wenigsten gehen mit ihrem Scheitern hausieren, stattdessen lassen wir die Öffentlichkeit nur an dem, was geklappt hat, teilhaben. Wenn Ihr Euch also das nächste Mal mit einer anderen Mutter vergleicht und nach eigenem Gefühl schlechter abschneidet, könnt Ihr entspannt davon ausgehen, dass auch die regelmäßig von Selbstzweifeln geplagt die Schublade mit den Backzutaten leer frisst oder gerade gestern den Zahnarzttermin des Mittelkindes verschwitzt hat. Also alles halb so schlimm. Wir schaffen das nicht und das ist auch gut so, liebe Genossinnen und Mit-Mütter.

Ich werde jetzt Guru.

Mach Dich krass! I make you sexy! Wenn ich das geschafft habe, schaffst Du das auch!

Wisst Ihr was? Ich bin schon krass! Und sexy! Wie ich das geschafft habe? Ganz einfach, folgt mir, ich werde Euer neuer Guru! Habt Teil an meiner Weisheit:

Liebe Menschen. Ihr habt ein Leben. Ihr dürft damit machen, was Ihr wollt, solange Ihr damit keinem anderen schadet. Eure Lebenszeit ist limitiert und dummerweise – oder glücklicherweise – wisst Ihr nicht, wann das Limit erreicht ist. Morgen? Nächste Woche Mittwoch? Am Morgen des 98. Geburtstags? Könnte alles sein. Und bis dahin will jede Stunde weise genutzt sein.

Wenn es Euch glücklich macht, Sport zu treiben, den Körper an seine Grenzen zu bringen, Muskeln aufzubauen oder morgens vor der Arbeit ein paar Kilometer zu joggen, um den Kopf frei zu kriegen – macht das! Genießt es! Ein wunderbares Hobby!

Wenn es Euch glücklich macht, Euren unsportlichen Körper mit einem guten Buch auf dem Sofa zu parken und in fremde Welten abzutauchen, mit den Protagonisten mitzufiebern und nach dem Ende des letzten Satzes so etwas wie Liebeskummer zu verspüren, weil das Buch vorbei ist – macht das! Genießt es! Ein wunderbares Hobby!

Wenn es Euch glücklich macht, im Job die Karriereleiter zu erklimmen, bis ganz oben die Luft immer dünner wird und das Konto immer dicker – macht das! Genießt es! Ist zwar kein Hobby, aber bestimmt super für’s Bruttoinlandsprodukt!

Wenn Ihr Eltern seid und beruflich ein paar Gänge runterschalten möchtet, um Conni-Bücher vorzulesen – macht das! Genießt es, sofern es möglich ist, Conni-Bücher zu genießen! Kinder sind zwar ein teures Hobby, aber können echt Spaß machen!

Wenn Ihr für Euer Leben gern Salat mit gerösteten Kürbiskernen an Himbeer-Balsamico-Vinaigrette esst – genießt es! Guten Appetit! Und wenn Ihr Schokolade und Rotwein bevorzugt (und das Histamin vertragt) – genießt es! Guten Appetit!

Ihr liebt Make-up und genießt das Styling vor der Party fast mehr als die Party selbst? Ran an den Pinsel! Genießt es! Ihr haltet Schminken für eine Verschwendung von Lebenszeit? Wunderbar, nutzt die Zeit für etwas anderes und tragt Eure natürliche Schönheit spazieren!

Ihr habt den Netflix-Probemonat und wollt einfach nur die letzte Staffel einer Serie zu Ende schauen, ohne Euch Gedanken über sinnvolle Freizeitgestaltung zu machen? Dann legt los, schnell, bevor das Abo kostenpflichtig wird! Ihr wollt das Abo? Prima, darf ich bei Euch auf dem Viert-Account mitgucken?

Ihr wollt den perfekten Bikinikörper? An die Arbeit: Körper ist schon vorhanden, also nur noch schnell einen Bikini kaufen!

Lasst Euch von niemanden einreden, Ihr müsstet Euch optimieren, um krass oder sexy oder was auch immer zu sein. Wisst Ihr, was wirklich sexy ist? Wenn jemand in sich ruht, statt gehetzt einem utopischen Ideal hinterherzujagen. Wenn jemand humorvoll oder geistreich ist. Oder wenn jemand eine wirklich gute Crème brûlée zubereiten kann. Oder ein eine gute Buchempfehlung geben kann. Oder selber Bücher schreibt. Wenn jemand sich in seinem Körper so wohl fühlt, dass er/sie diesen Körper in wunderschöne Outfits kleidet oder diesen Körper beim Tanzen spüren und zeigen mag. Wenn jemand ein Instrument spielt. Oder frei von Scham auf einer Karaoke-Bühne treffsicher jeden Ton verpasst. Wenn jemand sich viele Gedanken macht, um für andere das perfekte Geburtstagsgeschenk zu finden. Wenn jemand herzhaft über sich selbst lachen kann. Das ist sogar krass sexy. Und diese wichtige Lektion bekommt Ihr völlig gratis, ganz ohne Abonnement!

Es grüßt Euch salbungsvoll
Euer neuer Guru